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Chemsex: nur Sex & Drugs?

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Chemsex ist die Bezeichnung für sexuelle Aktivitäten unter dem Einfluss bestimmter Drogen, in der Regel Methamphetamin, Mephedron und GHB/GBL, die das sexuelle Erlebnis steigern oder stimulieren. Häufig sind mehrere Sexualpartner im Spiel und die Dauer der Sitzungen ist lang, manchmal mehrere Tage. Personen, die Chemsex praktizieren, berichten häufig von ungeschütztem Geschlechtsverkehr und anderen riskanten Verhaltensweisen. Häufig – aber nicht ausschließlich – handelt es sich um schwule oder bisexuelle Männer, die diese Art von Sex praktizieren.

Was ist Chemsex?

Manche Menschen praktizieren Chemsex aus Einsamkeit oder Langeweile. Sex unter Drogeneinfluss kann das Bedürfnis nach Bindung und Erregung befriedigen und gleichzeitig die Hemmschwelle für Vergnügen und Intimität senken. Drogen und Alkohol können in diesem Zusammenhang die Entspannung fördern, das Selbstvertrauen stärken und soziales Unbehagen und Ängste in Bezug auf das Körperbild, das Alter und den HIV-Status lindern. Es ist auch bekannt, dass Chemsex als Überwindungsstrategie für anhaltende Probleme wie Stigmatisierung, Homophobie und frühere Missbrauchserfahrungen dienen kann. Einige Männer betrachten ihn als Teil ihres Lebensstils und geben an, dass er keine negativen Auswirkungen auf ihre Beziehungen hat. Er kann also durchaus als positiver Aspekt der schwulen Identität erlebt werden. Chemsex ist jedoch auch riskant und entwickelt sich für viele Männer früher oder später zu einem Problem.

Diese Praktiken können sich negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken. Eines der größten Gesundheitsrisiken besteht darin, sich beim enthemmten Sex und beim Teilen von Nadeln zu infizieren. Daten aus London, die im HIV Medicine Journal veröffentlicht wurden, zeigen die Risiken auf. Schwule Männern, die Chemsex praktizieren, erkranken demzufolge fünfmal häufiger an HIV als andere schwule Männer. Sie haben außerdem ein neunmal höheres Hepatitis-C-Risiko und ein viermal höheres Risiko für andere sexuell übertragbare Infektion. Anfälliger sind sie auch für sexuelle Übergriffe, da der Drogenkonsum nicht nur die Hemmschwelle senkt, sondern auch die Fähigkeit, sich zu schützen. Untersuchungen haben gezeigt, dass dies eines der Hauptprobleme ist. 43 % der Befragten gaben an, schon mindestens einmal Sex ohne Einverständnis gehabt zu haben. Weitere Risiken sind drogeninduzierte Psychosen und Überdosierungen.

Der Umgang mit Menschen, die Alkohol- oder Drogenprobleme haben, ist selten einfach. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um einen geliebten Menschen oder sogar den eigenen Partner handelt. Negative Auswirkungen auf die Beziehung und das Familienleben sind auch dann nicht auszuschließen, wenn beide Partner Chemsex praktizieren.

Drogen in der LGBTQ-Szene

Um Chemsex zu verstehen, ist es hilfreich, den kulturellen Kontext des Drogenkonsums von LGBTQ-Personen zu kennen. Untersuchungen zeigen, dass der Drogenkonsum in der LGBTQ-Szene weitaus höher ist als in der Gesellschaft insgesamt. Die Gründe hierfür sind komplex. Ein großer Teil der Szene konzentriert sich auf Bars und Clubs, in denen sich Gleichgesinnte treffen und Kontakte knüpfen. Neben Alkohol werden in einigen Lokalen auch Drogen konsumiert und gelten teilweise als völlig normal.

Für einige LGBTQ-Menschen sind Drogen eine Möglichkeit, mit ihren Alltagsproblemen umzugehen. Dies kann das Ergebnis des Aufwachsens in einer intoleranten Gesellschaft sein, in der viele von ihnen Vorurteile und Diskriminierung erfahren haben. Während einige Vorurteile und Diskriminierungen offen zutage treten, sind andere subtiler, aber hartnäckiger und ziehen sich durch das ganze Leben. Beispiele dafür sind die ständigen Fragen von Verwandten, wann man denn heiraten werde (eine Person anderen Geschlechts), das Gefühl, in der Öffentlichkeit nicht die Hand des Partners halten zu können, oder die Befürchtung, durch ein Outing am Arbeitsplatz die Karriere zu gefährden. LGBTQ-Personen, die in konservativen Familien aufgewachsen sind, finden es oft schwierig, ihre Identität mit ihrer Erziehung in Einklang zu bringen. Einige führen ein Doppelleben oder mussten familiäre und freundschaftliche Beziehungen abbrechen.

Vor allem für schwule und bisexuelle Männer hat der Schatten von HIV große Auswirkungen. Wer in den ersten Jahren der Epidemie erkrankte, rechnete oft nicht mit einem langen Leben. Dank der Fortschritte in der Behandlung können HIV-Infizierte heute aber damit rechnen, genauso lange zu leben wie andere Menschen. Viele Männer leben heute mit der Konsequenz, zunächst aus dem Berufsleben ausgeschieden zu sein, und noch mehr haben den Verlust vieler Freunde und Partner zu beklagen. Drogen und Alkohol können eine vorübergehende Befreiung von den Belastungen dieser Lebensprobleme bieten. Wenn sich jedoch die zugrunde liegenden Faktoren verschlechtern, kann der Konsum zunehmen und selbst problematisch werden.

Wie Chemsex entstand

Chemsex wurde erstmals Ende der 2000er Jahre als eigenständiges Phänomen wahrgenommen. Damals war zu beobachten, dass hilfesuchende Männer eine deutliche Veränderung der konsumierten Substanzen schilderten. Diese Veränderung wurde durch mehrere Faktoren beeinflusst. Die Reinheit und Verfügbarkeit etablierter Partydrogen wie Ecstasy und Kokainpulver nahm drastisch ab. Dies fiel zusammen mit dem Aufkommen sogenannter “Legal Highs” – Substanzen, die nicht gesetzlich verboten waren – von denen viele offen online verkauft wurden. Dazu gehörten Drogen wie GBL und Mephedron, die ein höheres Schadensrisiko aufweisen als viele “herkömmliche” Partydrogen und ein höheres Risiko für Abhängigkeit und psychische Beeinträchtigungen mit sich bringen. Einige dieser Risiken waren damals noch nicht bekannt.

Gleichzeitig mit der Veränderung des Drogenkonsums kamen auch Dating-Apps wie Grindr auf. Diese Apps bieten die Möglichkeit, andere für Verabredungen oder zwanglose sexuelle Abenteuer zu treffen. Sie wurden auch genutzt, um andere für Chemsex zu treffen, und von Dealern, um Drogen zu verkaufen. Einige Männer berichteten, dass sie durch die Apps mit einem viel größeren Personenkreis in Kontakt gekommen seien, als dies in ihrem normalen sozialen Umfeld der Fall gewesen wäre. Für einige war dies der Einstieg in den Chemsex, da sie von Personen, die sie kennenlernten, Drogen angeboten bekamen, auch wenn diese zuvor nicht Teil ihres Lebens waren. Einige berichteten, dass sie die Substanzen ohne oder mit wenig Vorwissen über ihre Wirkung konsumiert hätten.

Chemsex: die häufigsten Drogen

Die bei Chemsex am häufigsten verwendeten Drogen sind Mephedron, GHB (Gamma-Hydroxybutyrat)/GBL (Gamma-Butyrolacton) und Methamphetamin (Crystal Meth). Weitere Drogen können Kokain, Ketamin und andere Amphetamine sein. Der folgende Steckbrief enthält die wichtigsten Informationen zu diesen Drogen.

Mephedron

Chemsex Droge MephedronMephedron, das bis 2010 frei erhältlich war, wurde ursprünglich als legale Alternative zu Drogen wie Ecstasy, Speed und Kokain verkauft und hat viele der Eigenschaften von Amphetaminen. Es macht wach, selbstbewusst, gesprächig und euphorisch, und manche Menschen empfinden vorübergehend eine starke Zuneigung zu ihren Mitmenschen. Die Konsumenten können sich jedoch auch krank, paranoid und ängstlich fühlen und es kann zu Erbrechen und Kopfschmerzen kommen. Es kann das Herz und das Nervensystem schädigen, was zu Halluzinationen, Erregungszuständen oder Krampfanfällen führen kann. Es kann auch den Appetit verringern, so dass die Gefahr einer Unterernährung besteht. Andere berichtete Wirkungen sind Herzklopfen, Schlaflosigkeit, Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, Schwindel, Zähneknirschen, Schwitzen und unangenehme Veränderungen der Körpertemperatur.

Mephedron ist normalerweise ein feines weißes, gebrochen weißes oder gelbliches Pulver.  Es wird in der Regel wie Kokain geschnupft oder in Papier eingewickelt und geschluckt (“Bombe”). Manchmal wird es auch in Form von Kapseln oder Pillen eingenommen und kann auch geraucht werden. Sehr viel seltener wird Mephedron gespritzt.

GHB und GBL

Chemsex Droge GHB/GBLGHB (Gamma-Hydroxybutyrat) und GBL (Gamma-Butyrolacton) sind eng verwandte, gefährliche Drogen mit ähnlicher sedierender und betäubender Wirkung. GBL wird kurz nach Eintritt in den Körper in GHB umgewandelt. Beide erzeugen ein euphorisches Gefühl und können Hemmungen abbauen, weshalb sie in der Szene oft als Liquid Ecstasy bezeichnet werden. Sie können in höherer Dosierung aber auch Schläfrigkeit verursachen. Die Wirkung setzt kurz nach dem Konsum ein und kann bis zu sieben Stunden oder länger anhalten. GHB und GBL können zu Bewusstlosigkeit, Koma und Tod führen. Da es sich um starke Betäubungsmittel handelt, stehen sie oft mit drogeninduzierten sexuellen Übergriffen in Verbindung. Eine besonders hohe Gefahr besteht, wenn man GHB oder GBL mit Alkohol mischt.

GHB und GBL werden normalerweise als geruchlose, farblose, ölige Flüssigkeit in kleinen Flaschen oder Kapseln angeboten. Ein Teelöffel oder eine Kapsel ist eine normale Dosis, obwohl die Stärke von GHB variiert, so dass es sehr schwierig sein kann, die Menge zu bestimmen, die man zu sich nimmt, was leicht zu einer Überdosierung führen kann.

Metamphetamin

MetamphetaminMethamphetamin gehört zur Familie der Amphetamine, die als Stimulanzien wirken. Die kristalline Form von Methamphetamin, manchmal auch Crystal Meth genannt, ist extrem stark und macht süchtig. Einige vergleichen es mit “Crack”, da sich beide zum Rauchen eignen und ein intensives und starkes “High” erzeugen, gefolgt von einem sehr starken “Comedown”, und beide sehr süchtig machend sind. Bei Methamphetamin hält der Rausch jedoch wesentlich länger an (4-12 Stunden). Methamphetamin-Konsumenten fühlen sich sehr wach und energiegeladen, können aber auch unruhig, paranoid, verwirrt und aggressiv sein. Aufgrund des erhöhten Energieniveaus können die Konsumenten aktiver sein als gewöhnlich, und die Droge kann auch die Hemmschwelle senken, was zu einer erhöhten Risikobereitschaft führen kann, z. B. bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr.

Die Droge kommt in verschiedenen Formen wie Tabletten, Pulver oder Kristallen vor. Je nach Form kann Methamphetamin geschluckt, geschnupft oder gespritzt werden. Im Gegensatz zu Amphetamin kann man es auch rauchen.

Kokain

KokainKokain ist ein starkes Stimulans. Es beschleunigt die körperlichen und geistigen Funktionen, aber die Wirkung ist von kurzer Dauer. Alle Arten von Kokain machen süchtig, aber Crack und Freebase machen stärker abhängig. Kokain macht selbstbewusst, aufmerksam und wach. Dies kann dazu führen, dass man seine Fähigkeiten überschätzt, leichtsinnige Risiken eingeht oder aggressiv wird. Die Wirkung hält nicht lange an. Wenn sie nachlässt, kommt es zu einem “come down”, der mehrere Tage andauern kann. Es ist verlockend, nach dem Abklingen der ersten Wirkung mehr zu konsumieren. Die Gefahr einer Überdosierung ist groß und steigt, wenn man Kokain mit anderen Drogen oder Alkohol mischt. Kokainkonsum kann auch Angstzustände und Paranoia auslösen oder bereits bestehende psychische Probleme verstärken. Das Rauchen von Crack kann zu Atembeschwerden und Brustschmerzen führen. Da es sich um eine teure Droge handelt und die Wirkung nur von kurzer Dauer ist, ist eine Abhängigkeit sehr kostspielig.

Kokain kommt als weißes Pulver oder in Steinform vor. Kokainpulver wird geschnupft. Freebase-Kokain (zum Rauchen aufbereitetes Kokainpulver) und Crack (eine “steinartige” Form von Kokain) sind auch zum Rauchen geeignet. Das bedeutet, dass sie das Gehirn sehr schnell erreichen, während geschnupftes Kokain das Gehirn langsamer erreicht.

Ketamin

KetaminKetamin ist ein starkes Allgemeinanästhetikum. Es schaltet das Schmerzempfinden aus und wird häufig bei Operationen an Menschen und Tieren eingesetzt. Es dämpft die Empfindungen im Körper und führt zu einem Gefühl des Schwebens oder der Losgelöstheit, als ob Körper und Geist getrennt wären, wobei sich manche Menschen bewegungsunfähig fühlen. Ketamin kann die Art, wie Dinge erscheinen oder klingen, verändern und Halluzinationen hervorrufen. Die Wirkung kann von einer halben Stunde bis zu mehreren Stunden anhalten. Die Nachwirkungen können noch einige Stunden danach spürbar sein. Es kann zu Verwirrung, Unruhe, Panikattacken und Beeinträchtigungen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses kommen. Häufiger Konsum wird mit der Entwicklung von Depressionen und sehr schweren Blasenschäden in Verbindung gebracht, die manchmal eine operative Entfernung der Blase erforderlich machen.

Die Droge wird in der Regel als körniges, weißes Pulver, manchmal auch in Tablettenform angeboten. Als medizinisches Anästhetikum wird Ketamin in flüssiger Form injiziert. Als Droge  wird es meistens geschnupft. Manche Menschen schlucken es aber auch in Tablettenform oder injizieren es sich.

Chemsex: was tun im Notfall?

Es ist nützlich zu wissen, wie man einer Person helfen kann, wenn man glaubt, dass sie während des Chemsex schlecht auf die Drogen reagiert. Die Betroffenen können ängstlich oder angespannt sein, in Panik geraten, überhitzten, dehydrieren, schläfrig werden oder Atemprobleme haben. Experten empfehlen die folgenden Schritte, die in einer solchen Situation unternommen werden sollten:

  • Geraten Sie nicht in Panik und bleiben Sie ruhig.
  • Versuchen Sie, den Betroffenen zu beruhigen und herauszufinden, was er genommen hat.
  • Wenn der Betroffene ängstlich, angespannt oder panisch ist, sollte er an einen ruhigen Ort gebracht werden.
  • Ermutigen Sie die Person, langsam und tief zu atmen.
  • Wenn der Betroffene schläfrig wirkt, sollten Sie versuchen, ihn wach zu halten. Verabreichen Sie keinen Kaffee, denn Kaffee ist ein Stimulans und kann mit den Medikamenten im Körper wechselwirken.
  • Wenn die Person nicht reagiert oder bewusstlos wird, rufen Sie sofort einen Krankenwagen, legen Sie sie in die stabile Seitenlage und bleiben Sie bei ihr, bis der Krankenwagen eintrifft.
  • Wenn Sie wissen, was der Betroffene eingenommen hat, informieren Sie das Rettungsdienstpersonal, damit es ihm sofort die richtige Behandlung zukommen lassen kann. Die Ärzte und das Rettungsdienstpersonal werden niemandem etwas über den Drogenkonsum erzählen, außer den Personen, die es für die medizinische Versorgung wissen müssen.

Beratungsangebote und weitere Informationen

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